Johann Peter Stahf und seine Nachfahren

Georg Rauschenbach

 

 

Johann Peter Stahf und seine Nachfahren

 

Angehörige der Familie Stahf tauchten im deutschen Wolgagebiet im selben 1766 Jahr auf, wie auch die Rauschenbachs. Johann Peter Stahf und Karl Friedrich Rauschenbach waren Kolonisten aus der sog. „Anwerbung Beauregard, d.h. sie wurden im Namen des Werbers Baron de Caneau de Beauregard angeworben. Ihre Nachfahren lebten in Katharinenstadt,* und so kam es dazu, dass in der zweiten Hälfte des 19 Jh. das Geschlecht der Stahfs sich zweimal mit dem Geschlecht der Rauschenbachs verband. Darüber – etwas später, zuerst jedoch über die Ursprünge.

 

Dank Vera Beljakowa-Miller [Вера Белякова-Миллер] und Andrew Spencer trat ich 2002 in einen Briefwechsel mit dem bekannten deutschen Journalisten, Film- und Fernsehregisseur und Kameramann Jürgen Stahf, einem schon in Deutschland geborenen Nachfahren von Wolga-Kolonisten. Jürgen gelang es, die Geschichte der Familie Stahf bis tief in das 16 Jh. zu verfolgen. In nicht geringem Maße half ihm dabei die von seinem Vater Edgar, der Russland zu Anfang der Revolution verließ, aufgestellte Familienchronik. Die Geschichte der von Jürgen angestellten Recherchen ist erstaunlich interessant:http://www.rauschenbach.ru/de/die-geschichte-der-familie-stahf-bis-zum-jahr-2016 .  

Anfang 2003 haben wir mit und Jürgen unsere Anstrengungen bei der Erstellung eines Familienstammbaums zusammengelegt; Jürgen schickte mir seine Unterlagen, ich schickte eine Anfrage an das Staatliche Archiv der Wolgadeutschen (ГИАНП) und erhielt von Jelisaweta Moisejewa Jerina und ihren Mitarbeitern Angaben über die Stahf-Familie für fast das gesamte 19 Jh. Das Fazit unserer gemeinsamen Recherchen sieht folgendermaßen aus:

Der Name Stahf (bzw. Staf, Staaf, Sthaff, Stahff,  der Name wurde zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich geschrieben) tauchte zum ersten Mal in der Eintragung vom 01.05.1608 über die Taufe von Hans Stahf im Kirchenbuch von Kressenbach auf. Sein Vater war Hen Stahf, die Mutter hieß Anna. Hen Stahf (Hen ist vermutlich eine Kurzform von Hennrich = Heinrich) starb 1613, sein Geburtsdatum ist unbekannt, sicher ist nur, dass er im 16 Jh. geboren wurde. 

Die nächsten zwei Generationen wurden auch in Kressenbach geboren, aber schon ab 1703 finden wir Einträge über die Stahfs in den Kirchenbüchern von Wallroth. Beide Ortschaften liegen nicht weit entfernt und gehören jetzt zum hessischen Kurort Schlüchtern. Der zukünftige Erstansiedler Johann Peter Stahf wurde am 06.12.1739 in Wallroth geboren. Dort heiratete er am 21.01.1762 Maria Eva Schmidt, am 13.03.1765 wurde ihr Sohn Johann Nikolaus geboren. 

Hanpeter, wie ihn seine Dorfgenossen nannten, musste, wie die meisten deutschen Bauern, eine nicht gerade geringe Pacht für den unergiebigen steinigen Boden, den er bearbeitete, entrichten. Der Siebenjährige Krieg führte zur Verarmung vieler Wirtschaften und die Steuern und Abgaben wuchsen für die meisten Ackerbauern ins Unermessliche . Hanpeters Wirtschaft war mit Schulden belastet und ein Ende der Schuldknechtschaft nicht abzusehen. Die Familienüberlieferung berichtet, dass eines schönen Tages im Frühjahr 1766, als Hanpeter sein Feld pflügte, er eine lange Reihe Wagen sah. Das waren solche Bauern wie er, die, eingeladen durch ein Manifest der Kaiserin Katharina II, ihr Glück in Russland suchen wollten. Ohne weiter zu überlegen, ließ Hanpeter seinen Pflug im Feld stehen, spannte ein Pferd in seinen Wagen, packte seine Frau und das einjährige Kind und schloss sich dem Wagenzug an. Diese Handlung war derart außergewöhnlich, dass die Erinnerung daran in Hanpeters Heimatdorf nach zwei Jahrhunderten noch wach bleibt.

Peter Stahf kam am 09.06.1766 mit Ehefrau und Säugling Nikolaus in Russland mit der  englischer Bark “George“, Skipper Adam Bairnsfair, vgl. [1, S. 30, Fahrt 14]).

 

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Johann Peter Stahfs Unterschrift auf der Eidesliste [1, S. 72]

 

Peter Stahfs Familie begab sich im Juli 1766 mit dem Transport unter Commando von Leutnant Ludwig von Oldenburg an die Wolga und ließ sich am 07.07.1767 in der Kolonie Boregard nieder. Peter Stahf starb einen frühen Tod im Jahre 1771 (nach anderen Angaben 1773), seine Witwe heirate nicht mehr und zog den Sohn alleine auf. Naturgemäß konnte sie weder pflügen noch sähen. Um über die Runden zu kommen, eröffnete sie einen Kramladen, der heranwachsende Nikolaus wurde zu ihrem Gehilfen und erbte später das Geschäft.

Nikolaus (oder auch Nikolaj) Stahf heiratete Anna Elisabeth Lier (geb. 1775), sie hatten zwei Söhne: Konrad (geb. 1793) und Michael (geb. 1796). In der Volkszählung von 1798 wurde Nikolaus‘ Familie in der Kolonie Boregard eingetragen, sein Mutter wurde nicht erwähnt. Laut Aktenplan des Saratower Kontors für ausländische Siedler zog Nikolaus Stahf im nächsten Jahr nach Katharinenstadt (Akte 677/2570 vom 31.08.1799) um. Der unternehmungslustige Nikolaus beschränkte sich nicht sich nicht auf mit dem Handel mit den Dorfgenossen, sondern begann mit Getreide zu handeln und knüpfte Geschäftsbeziehungen mit Nischnij Nowgorod, Rybinsk und Moskau. Nikolaus eröffnet 1807 das erste Kolonialwarengeschäft in Saratow. Parallel dazu erweitert er mit Hilfe der erwachsen gewordenen Söhne den Tabak- und Getreidehandel. 1818 heiratete Nikolaus' ältester Sohn Konrad Katharina Kaiser, deren Vater das Haus Ecke Moskauer Straße (Московская улица) / Kathedralstraße (Соборная улица) gehörte, und verlegte das Geschäft in dieses Haus.

 

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Konrad Stahfs Haus (Foto von der Site www.oldsaratov.ru)

 

Der Größe der Mitgift nach zu urteilen (ein steinernes Eckhaus im Zentrum von Saratow) war Konrad eine beneidenswerte Partie. Nikolaus Stahf, der die die allgemeine Leitung der Angelegenheiten bis zu seinem Ableben behielt, starb 1828. Seine Söhne Konrad und Michael eröffneten im selben Jahr und gerade in diesem Haus eine Tabakfabrik, die bis heuer besteht [2]. Die Geschichte ihrer Entstehung ist eine einzelne Erzählung wert (vgl. „Die Legenden um die Tabakfabrik Stahf“: http://www.rauschenbach.ru/de/legendy-o-tabachnoy-fabrike-shtaf).

Wir bringen hier ein Fragment der Ahnentafel der Familie Stahf, angefangen mit den Brüdern Konrad (Kondratij) und Michael.

1. Johann Konrad Stahf (1793-1858) oo Katharina Kaiser (05.12.1800-15.04.1866?).

2. Michael Stahf (1796-06.04.1864) oo     a) Helene (Jelena) Seifert (1812- zwischen 1850 u. 1854).

                                                                  b) Anna Elisabeth Asmus (21.06.1821-01.12.1905).

 

1.1. Konstantin Stahf (13.05.1819 – nach 1882) oo Johanna Maria Miller (1824-1892).

1.2. Emilia (?) Stahf (1822-?).

1.3. Michael Stahf (1823-1846).

1.4. Dorothea Stahf (1825-?).

1.5. Alexander Stahf (22.12.1827-15.09.1898) oo Maria Gertrude Brandt (20.07.1835-1917?).

1.6. Karl Stahf (1831-1851).

1.7. Konrad Nikolaus Stahff (28.01.1834-14.07.1876) oo Julia v. Mensenkampf (1843- nach 1882).

1.8. Friedrich Julius Stahf (1835-1853).

 

2.1a. Amalia Stahf (1829- ?).

2.2b. Nikolaus Stahf (19.08.1856-24.12.1934) oo Maria Florentina Rauschenbach (02.01.1862-04.11.1947). Maria Florentina war die Tochter von Andreas Jakob Rauschenbach (vgl. den Abschnitt Stammbaum: http://www.rauschenbach.ru/de/tree).

2.3b. Elisabeth Stahf (1858-1858).

2.4b. Peter Stahf (01.09.1861-28.06.1933) oo Julia Alma Arndt (31.01.1872-23.02.1946).

 

Der Stammbaum des Zweiges der „Michailowitschs“, d.h. der Nachkommen von Michael Stahf wurde dank Jürgen Stahf genügend erforscht, bei den „Kondratjewitschs“, d.h. den Nachkommen von Konrad (Kondratij) sieht die Sache nicht so gut aus. Im April 2016 gelang es uns jedoch, Kontakt mit den lebenden Nachkommen von Alexander Konstantinowitsch Stahf (s. Ahnentafel, Sohn von 1.1) aufzunehmen, so dass die Hoffnung besteht, mit gemeinsamen Anstrengungen einen Teil der Lücken zu schließen.

In der Russischen Staatsbibliothek kann man eine vor dem Zweiten Weltkrieg erschienene Broschüre von K.A. Stahf finden; Autor der Broschüre war mit großer Wahrscheinlichkeit Konstantin Alexandrowitsch Stahf (1878-1944), Sohn des oben erwähnten Alexander Konstantinowitsch. 

 

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Auf der Site Geni.com ist ein von Wera Charitonowa, einer Urenkelin von Alexander Kondratjewisch Stahf (s.o. 1.5), des vorletzten Eigentümers der Tabakfabrik Stahf aufgestellter Teil des Stammbaums der Stahfs abgebildet: https://www.geni.com/people/%D0%90%D0%BB%D0%B5%D0%BA%D1%81%D0%B0%D0%BD%D... Der Stammbaum enthält genügend ausführliche Informationen über die Nachkommen von Alexander Kondratjewisch Stahf.  

Konstantin und Johanna Maria Stahf (s.o. 1.1) hatten fünf Söhne und drei Töchter.

 

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Mein Urgroßvater Konstantin Stahf mit Enkelsohn Robert (Foto aus dem Archiv von V.E. Rauschenbach)

Eine ihrer Töchter, Anna Lydia (1851-20.11.1926) heiratete ca. 1869 meinen Urgroßvater Johann Alexander Rauschenbach (19.05.1847–26.08.1901); sie hatten 13 Kinder [3] (vgl. auch http://www.rauschenbach.ru/ru/biblioteka/razdel-biblioteki-1). Hier verbanden sich zum ersten Mal die Nachkommen von Karl Friedrich Rauschenbach und Johann Peter Stahf. Die Hochzeit von Nikolaus Stahf und Maria Florentina Rauschenbauch fand zu einer späteren Zeit, ungefähr 1882, statt.  

 

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Alexander und Lydia Rauschenbauch (Foto aus dem Archiv von M.K. Paweljew)

Demzufolge kam es zu Überschneidungen zwischen unserer Familie und der Familie Stahf sowohl beim Zweig der „Michailowitschs“ wie auch bei Zweig der „Kondratjewitschs“ (der Nachkommen von Konrad). Im weiteren wurden zwischen den Familien Stahf und Rauschenbach enge Beziehungen unterhalten. Gegen Ende des 19. Jh. entstanden im Nikolajewskij Ujesd des Gouvernements Samara gleichzeitig zwei benachbarte Einzelgehöfte – der Bauernhof Rauschenbach und der Bauernhof Stahf. Die Schwestern Christina Jakowlewna Rauschenbach und Johanna Jakowlewna Stahf, Töchter von Jakob Miller erbten die Höfe von ihrem Bruder Friedrich (Fjodor) Jakowlewitsch Miller. Für nähere Einzelheiten dazu vgl. „Expedition-2013“ (http://rauschenbach.ru/de/expedition-2013). Mein Großvater Eduard Alexandrowitsch Rauschenbach war Anfang des nächsten Jahrhunderts Buchhalter in der Tabakfabrik Stahf. Auch in Saratow blieben sie Nachbarn.   

 

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Das Haus von К.А. Stahf in der Proviantstraße (Провиантская улица)

 

Margot Grün, geb. Stahf, Tochter von Nikolaus und Maria Florentina (Ahnentafel 2.2) wurde im Februar 1915 Taufpatin des zukünftigen Mitgliedes der Sowjetischen (seit November 1991 Russischen) Akademie der Wissenschaften Boris Rauschenbach (vgl. http://www.rauschenbach.ru/ru/Dolgiy-put-k-pravoslaviyu).

Nikolaus und Peter, die Söhne von Michael Stahf siedelten nach der Revolution nach Deutschland um. Über ihr Schicksal erzählt Peters Enkelsohn Jürgen Stahf: http://www.rauschenbach.ru/de/die-geschichte-der-familie-stahf-bis-zum-jahr-2016

 

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Früher hing die Uhr an der Wand im Hause Jurgens Großvaters, des Pastoren Peter Stahf in der Kolonie Grimm. 

 

LITERATUR

1. Идт А., Раушенбах Г. Переселение немецких колонистов в Россию в 1766 г. – М.-СПб.: Нестор-История, 2015 [A. Idt, G. Rauschenbach: Auswanderung deutscher Kolonisten nach Russland im Jahre 1766. Verlag Nestor-Istorija, Moskau, Sankt Petersburg. 2015]. – 320 Seiten.

2. Страничка из истории промышленности юго-восточной России. Табачная фабрика А.К. Stahf в Саратове. - Саратов, 1896 [Ein Fragment aus der Industriegeschichte von Süd-Ost-Russland. Die Tabakfabrik A.K. Stahf in Saratow. Saratow. 1896]. – 31 Seiten.

3. Раушенбах Г.В. Карл Фридрих Раушенбах и его потомки в России. «Генеалогический вестник», вып. 42/2011, сс. 43-61 [G.W. Rauschenbach: Karl Friedrich Rauschenbach und seine Nachkommen in Russland. In: Genealogičeskij vestnik (dt. Genealogischer Bote), Lieferung 42. 2011, 43-61].

 

* Der Name Staf war auch im Kolonie Orlowskaja anzutreffen, aber wir beschränken uns auf die Nachkommen von Hanpeter Stahf. 

 

07.03.2017